Nach dem zweiten Weltkrieg geboren, wuchs ich auf in einer Welt des Schweigens. Ämter und Positionen waren noch von Altnazis besetzt. Niemand erklärte uns, der Jugend, die Gegenwart; die jüngste Vergangenheit schon gar nicht.
In der Kunst existierten bereits vor dem ersten Weltkrieg alle Facetten der Moderne. Literaten hatten schon damals das Sagen, Künstlertexter besangen sich. Später, in meiner Jugend, schwiegen sie zunächst, redeten dem von Exileuropäern in USA inthronisierten Kunstmarkt das Wort. „Anything goes“, da ist nichts mehr wichtig, eher unverbindlich, aber teuer. Die USA hatten an den Weltkriegen unvorstellbare Vermögen erworben. Lange hinkten die besonders angepassten Deutschen der explodierenden USA-Kunstwelt hinterher, die Arrivierten waren modisch geworden.
Wie viele Junge Künstler, suchte ich Bilder, durch die das Unfassbare spricht, es möglichst eine Orientierung weist. Die älteren Künstler, angefangen bereits mit Picasso, hatten das Hässliche, Verzerrte, Schmutzige mit großem Pomp salonfähig gemacht (ihr Protest- Weltbild!). In meiner Studienzeit war Priesterkünstler Beuys der Star. „Irre“ war ein lobendes Kompliment geworden. Ich, jedenfalls, war „irre“, bis ich mich entschied, ganz genau hinzusehen. Da wurden die meisten anderen in meinen Augen irre. Nur wir Künstler nicht. Wir suchten Kunst der Intensität aber mit inhaltlicher Entschiedenheit.
Es boomte die Kunstliteratur. Verwaltungskunsthistoriker, gefangen in ihrem linearen Paradigma, beherrschten die Scene – so unübersichtlich wie die Welt. Der Unterhaltungswert des Museums stieg. Expertenrunden etablierten sich. Kunst hatte nicht mehr engagiert zu sein.
Mit Harald Szeemann suchte ich trotzdem „eine Zone der Poesie“, in der die Autonomie des Kunstwerkes gefeiert wird, eine „Monumentalität ohne Ideologie“; und das in unserem unterhaltsamen aber orientierungslosen Zeitalter. Widerspruch als Bildgehalt reichte mir nicht. Ich suchte eigenständigen Gehalt. Es wurde ein charakteristisches Erfassen unserer Zeit, eine Arbeitsweise, die sowohl charakteristisch als auch ausreichend konstant – oder evolutionär – ist; jedenfalls ein lebenslang spannendes Abenteuer.
Dieser Veränderung des Wahrnehmungsbegriffs habe ich meine intensive Galerie Tätigkeit gewidmet, mit Engagement und Freude. In jedem Jahr leistete ich mir eine Auszeit für eigenes Schaffen – unumgänglich notwendig für mich. Für Arbeiten wie die von mir bewunderten “Blütenpollen Installationen“ von Wolfgang Leib fehlte mir Muße, Geld und Zeit. Aber Polaritäten müssen sich ja nicht gegenseitig ausschließen.
Heute genieße ich es, mich auch von meinen eigenen Bildern/Objekten in Bann ziehen zu lassen. So ein Versenken in ein fertiges Bild ist dem genussvollen Sehen vorbehalten – entzieht sich der systematischen Theorie und Analyse (die notwendig) bei und nach der Arbeit. Evidenz des ursprünglich Wesenhaften im Werk eines Künstlers wirkt aktivierend für den, der Sehen kann.
Den vielen Künstlern, deren Werdegang ich begleiten konnte, danke ich für ihr Kunstengagement und die erfreuliche, meist belebende Zusammenarbeit.
«U wäge dem säg i immer, also anunfürsich die Uufgaab äh Usschtellige zmache und äs Läbe lang mit de Chünschtler zverbringe, wo für mi die ideale Gsellschaft si – wo mes immer mit eim ztüe hät und quasi also die Gsellschaft sich us Additione vo Begägnige zammesätzt, muess me mit Häärz läbe.» (Harald Szeemann)